Ein kleiner Milchviehbetrieb in Westfalen trotzt der Wirtschaftskrise
Es ist acht Uhr in der Frühe, das Münsterland erwacht langsam aus seinem Schlaf und ist noch in tiefes Dunkel gehüllt. Das Dunkel wird bald vom Grau abgelöst. Es regnet. Typisch Münster. Beim Verlassen des Wagens kommt dem Besucher kläffend Hofhund Jack entgegen. Zaudern. Ist er Freund oder Feind? Die schwere Holztür des Haupthauses schlägt, ein für Westfalen ungewöhnlich ausgelassenes „Moin, moin!“ schallt aus dem Vorgarten. Birgit Schulte Bisping ist auf dem Weg zur Arbeit. Der Weg ist kurz, denn ihr Arbeitsplatz ist die kleine Käserei der Hofstelle Schulte Bisping in Westbevern, einem verträumten 3000-Seelen-Nest nahe der Uni-Stadt Münster.
Birgit ist eine zierliche Frau von 43 Jahren, mit festem Händedruck. Man ist schnell beim „Du“. Die freundliche Begrüßung: „Schön, dass du gekommen bist.“ Die Käserei liegt gleich gegenüber dem Haupthaus: Früher ein Schafstall, vor Jahren umgebaut. Die Hygienevorschriften sind sehr streng. Weiße Kleidung, Haube und sagenhaft bequeme weiße Gummistiefel. Ahmet, türkischer Azubi, hat die Produktion von Schichtkäse vorbereitet, eine der gefragtesten Spezialitäten aus der Hofkäserei. Er schöpft pasteurisierte und mit Bakterienkulturen versetzte Milch, die jetzt fest wie Pudding ist, in kleine quadratische Förmchen mit vielen kleinen Löchern. Aus denen rinnt nun literweise die Molke. Der Schichtkäse muss jetzt stehen, abtropfen, sich setzen. Schichten von Käsemasse werden nachgegeben, daher kommt der Name. Man sieht die Hand vor Augen kaum, denn aus einem zweiten Kessel quellen dicke Nebelschwaden. Rohmasse für Joghurt wird hier abgedampft, damit das Endprodukt nicht zu flüssig wird.
Es klopft am Fenster: Birgits Mann Tönne bringt mit seinem Schlepper Nachschub: 500 Liter Milch sollen am Nachmittag zu Käse verarbeitet werden. Eine kräftige Pumpe schlürft den Rohstoff über einen dicken Schlauch in den zuvor akribisch mit Jod gereinigten Kessel. Während Birgit als Molkereitechnikerin für die Käserei verantwortlich ist, managt Tönne den bäuerlichen Betrieb. Der Hof: 55 Hektar, 136 Stück Großvieh, davon 48 Milchkühe, 12 Hühner, zwei Pferde, ein Hund und im Dachstuhl ein paar Eulen und Schwalben. Das ist Durchschnitt in dieser Region. Ansonsten ist der Betrieb das absolute Gegenteil vom Durchschnitt, er ist etwas Besonderes.
Zum Mittagessen treffen sich alle in der riesigen Wohnküche am schweren Eichentisch: Birgit und Tönne sind da, Sohn Felix (13 Jahre) und auch Ahmet. Die anderen vier Kinder sind noch in der Schule. Es gibt Reis mit Hühnerfrikassee, zum Dessert Quarkspeise. Das Huhn kam aus dem eigenen Stall, der Quark aus der eigenen Käserei. Es ist Zeit zum Klönen. „Was ist besonders an eurem Betrieb?“. Niemals oberlehrerhaft aber mit voller Überzeugung erzählt, plaudert und plappert Birgit von qualitativ hochwertigen naturbelassenen Lebensmitteln aus regionaler Produktion. Keine Konservierungsstoffe, keine genmanipulierten Zutaten, Rohstoffe vom eigenen Hof. Das Futter für das Vieh kommt aus eigenem Anbau. Birgit ist im Gegensatz zu Tönne, dessen Familie seit 400 Jahren hier lebt, keine „Alteingesessene“. Sie ist Akademikerkind, der Vater emeritierter Professor. „Ich komme aus der Öko-Szene“, sagt die Studierte mit Photographenausbildung. Sie ist auch Aktivistin bei Slow Food, dem Verein für verantwortungsvolle Lebensmittelproduktion.
Kleine Hofkäsereien sind selten geworden. Milch, Käse und Joghurt kommen heute aus großen Fabriken. Hier aber werden nur geringe Mengen hergestellt, für ein Rinderfilet aus dem Bisping’schen Stall steht man auf einer Warteliste. Die Tiere werden persönlich zum Schlachter begleitet. Stressfreiheit bringt exzellentes Fleisch. Der Vertrieb der Produkte läuft über den Hofladen, einige Marktbeschicker aus der Region und einen Versandspezialisten. „Industriell hergestellte Lebensmittel machen uns krank und verderben die Esskultur“, erklärt Birgit und schiebt nach: „Die Menschen schätzen unsere Handarbeit. Wir haben keine Absatzprobleme.“ Jetzt ist endlich Gelegenheit, nach dem Geld zu fragen. Man liest es ja jeden Tag in der Zeitung: Die Wirtschaftskrise macht großen Konzernen ebenso zu schaffen wie kleinen Mittelständlern.
„Wie gesagt, wir haben keine Absatzprobleme. Wir haben unsere Nische gefunden. Unsere Kunden sparen nicht, wenn es um die Qualität ihrer Lebensmittel geht.“ Birgit erzählt davon, wie ein Versandhaus den Einkaufspreis neu verhandeln wollte. „Der Einkäufer hat gesagt, wir müssten noch mal über den Preis reden“, schmunzelt sie. „Ich habe ihm einfach eine neue Rechnung geschickt und zehn Prozent drauf geschlagen. Er hatte sich das wohl anders vorgestellt, aber ich lasse mich nicht unter Druck setzen.“ So eine Strategie kann man sich wohl nur aus einer sicheren Position heraus erlauben, wenn man tatsächlich keine Absatzprobleme hat. „Und die Milchpreise allgemein?“ „30 Cent pro Liter sind zu wenig. Das spüren wir. Aber der größte Teil unserer Milch geht ja in die eigene Produktion. Das macht uns unabhängiger“, sagt Tönne und macht ein gleichgültiges Gesicht.
Es ist zwei Uhr: Birgit und Ahmet sind zurück in der Käserei, machen den traditionellen Rohmilchkäse. Tönne kümmert sich um das Vieh im neuen Stall. Frage: „Probleme mit EU-Vorschriften?“ Antwort: „Regeln müssen sein, auch wenn es manchmal nervt. Die EU ist wichtig für uns.“ Morgen gibt es hier Nachwuchs im Stall, ein Kälbchen ist auf dem Weg.
Birgit und Ahmet haben unterdessen die Milch pasteurisiert, Bakterienkultur, Calcium Chlorid und Lab zugefügt, später den Käsebruch zur Entwässerung in perforierte Zylinder gefüllt und mit Stahlgewichten gepresst. Er wird jetzt regelmäßig gewendet, am nächsten Morgen gesalzen, nach fünf Tagen gewachst und für mindestens sechs Monate zum Reifen abgelegt.
Der Schichtkäse vom Morgen ist inzwischen im Kühlraum verstaut, ein lehrreicher Tag geht zu Ende und Jack ist jetzt mein Freund.
Von Tobias Thieme
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